Am Ende wird es doch immer stressig und chaotisch. Vermutlich sollte ich mich längst an diese Tatsache gewöhnt haben, aber es macht mich doch immer wieder fertig, wenn ich sehe, wie die Zeit vergeht und ich ihr quasi hinterherhänge, weil ich mal wieder viel zu viele Dinge gleichzeitig möchte.
Egal, ich freue mich auf die Weihnachtstage, auch wenn sie vermutlich ebenso schnell vorbei sein werden, wie die letzten Wochen vergangen sind.
Ich wünsche euch einen zauberhaften Samstag und natürlich viel Spaß mit dem vorletzten Kapitel dieser kleinen Geschichte, die vermutlich noch ein paar mehr Kapitel gebrauchen könnte. Aber es ist einfach ein süßes Weihnachtsmärchen, mit dem ich ein bisschen romantische Stimmung verbreiten wollte.
Am vierten Advent wartet noch ein Gewinn auf euch.
Liebe Grüße
Karo
7.
Sie saßen gemütlich beim Italiener. Jeder hatte ein Glas Wein vor sich auf dem Tisch stehen und das Essen war bereits bestellt. Nervös drehte Sönke den Stil des Glases zwischen seinen Fingern und
beobachtete die dunkelrote Flüssigkeit. Er suchte nach einem Gesprächsthema, aber sein Kopf war immer noch ganz benebelt von den Küssen. Schon lange hatte sich nichts so gut angefühlt.
Gleichzeitig erschien es ihm falsch. Es war einfach nicht der richtige Moment für Gefühle dieser Art.
„Worüber denkst du nach?“, erkundigte sich David und durchbrach sein Grübeln. Er hob den Kopf und wurde von dessen Blick nahezu magisch angezogen. Es war unbegreiflich, woher diese Wirkung kam.
Sein Herz schien in diesem Mann die Geborgenheit zu finden, nach der schon so lange gesucht hatte. Das war jedoch unmöglich, konnte einfach nicht real sein.
Eine Hand legte sich auf seine. Wärme flutete seinen Körper und sandte angenehme Schauer über den Rücken. Er seufzte leise und zog die Unterlippe zwischen die Zähne.
„Ich mag die Stille“, sagte David schmunzelnd. „Es gibt nicht oft Menschen, mit denen man Schweigen kann. Die meisten Leute sind viel zu laut, wollen ständig reden, sich kundtun. Es ist auch eine
Form von Egoismus, wenn man sein Gegenüber gewissermaßen in seinem Wortschwall ertränkt.“ Er lachte leise und schüttelte den Kopf.
„Eigentlich weiß ich nur nicht, was ich sagen soll“, erwiderte Sönke mit einem schiefen Grinsen. „Mein Kopf ist irgendwie leer. Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Es ist
verwirrend und ... und ein bisschen beängstigend.“
„Was verwirrt dich denn am meisten?“, fragte David. Seine Hand bedeckte noch immer die von Sönke. Er spürte die Finger, die sanft zudrückten.
„Einfach alles“, meinte er zögerlich. „Ich habe nicht gedacht, dass die Diagnose mich dermaßen umhauen würde, aber noch weniger habe ich damit gerechnet, dass ich genau in diesem Moment jemanden
begegne, der mir auf eine unfassbare Weise unter die Haut geht.
„Was ist denn genau passiert? Ein Unfall oder hat dich jemand angesteckt, von dem du es nicht erwartet hattest?“
Sönke lachte bitter auf und schüttelte resigniert den Kopf.
„Ich bin das Risiko eingegangen und sollte wirklich entspannter damit umgehen.“
„Was bedeutet das?“
Sönke sah sein Gegenüber an und schluckte schwer. Er konnte diesem fremden und zugleich vertrauten Mann nichts davon erzählen. Ein Teil in ihm begann sich auf eine Weise zu schämen, die ... Er
heftete seinen Blick auf die Tür und spürte, wie sein Körper sich bereit machte, aufzuspringen und aus dem Restaurant zu fliehen. Seine Beine zitterten vor Anspannung.
„Bin ich zu neugierig? Entschuldige bitte, das ist sicherlich eine Sache, die mich nichts angeht.“
„Nein“, rief er und begriff selbst nicht, was er sagen wollte. „Das ist es nicht. Ich ... ich habe eigentlich kein Problem damit, zu mir und dem, was ich tue zu stehen. Ich liebe Sex und
...“
Ehe er weiterreden konnte, kam das Essen. Die Lasagne, die Sönke sich bestellt hatte, duftete verführerisch und auch die Tortellini von David sahen köstlich aus. Er schloss für einen Moment die
Augen und spürte Dankbarkeit dafür, dass der Kellner das Essen genau im richtigen Augenblick gebracht hatte.
„Wer liebt Sex denn nicht?“, erkundigte sich David glucksend. Offenbar nahm er den Gesprächsfaden wieder auf, während er seinen Löffeln mit den gefüllten Nudeln belud. „Es ist doch eher die
Frage, wie viele Menschen man dafür braucht. Oder welches Risiko man bereit ist, einzugehen.“
„Weshalb müssen wir ausgerechnet über dieses Thema sprechen?“, fragte Sönke grummelnd. Er fühlte sich unwohl und überfordert. Das hier war keine gute Idee. Vielleicht sollte er sich das Essen
einpacken lassen und verschwinden.
„Tut mir leid“, sagte David und zwinkerte ihm zu. „Ich bin einfach zu neugierig. Es ist wohl eine Schwäche.“
„Schon gut“, erwiderte Sönke instinktiv, obwohl er es nicht so empfand. Es war nicht gut, weil ... Genau hier lag das Problem. Er konnte den Grund nicht benennen. Auf der anderen Seite wollte er
sich jedoch nicht für das, was er tat schämen.
„Ich bin das Risiko bewusst eingegangen, weil ich Spaß haben wollte. Ich war neugierig und wollte alles ausprobieren was möglich ist und was mich anmacht. Ich weiß was safer und unsafe ist. Für
eine Prep war ich noch nicht bereit, aber ich dachte ... Sollte ich mich tatsächlich infizieren, dann müsste ich mir weniger Gedanken machen. Ich beginne die Therapie, komme unter die
Nachweisgrenze und schütze auf die Weise meine zukünftigen Sexpartner. Jetzt bin ich an diesem Punkt, aber es fühlt sich nicht mehr so einfach an, wie in meiner Fantasie.
„Realität und Vorstellung liegen manchmal doch nicht so dicht beieinander, wie man es sich wünscht“, behauptete David. „Klingt, als wärst du sehr freizügig in Sachen Sex.“
„Wie bitte?“ Er schaute sein Gegenüber pikiert an. War das etwa ein Vorwurf? Widerstand regte sich in seinem Inneren. Die anfängliche Scham verschwand und sein Selbstbewusstsein, von dem in den
letzten Tagen kaum etwas zu spüren war, breitete sich aus. Er würde sich von niemanden vorschreiben lassen, mit wem und wie oft er rummachte.
„Na ja, es scheint, als wenn du ...“ Er sah, wie David innehielt und ihn dann provokant anlächelte. „Scheint, als wenn du eine Schlampe bist. Da passt Selbstmitleid wirklich nicht.“
Sönke öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Entsetzt starrte er David an und konnte kaum glauben, was er gehört hatte.
„Vermutlich bin ich das. Ja, ich bin eine Schlampe und ich liebe es“, knurrte er unwirsch. Am liebsten hätte er die Worte laut herausgeschrien, aber das Restaurant war gut besucht und keineswegs
der richtige Ort für so ein Gespräch. Trotzdem konnte er nicht sich nicht zurückhalten.
„Ich liebe es, einen Schwanz in mir zu haben. Starke Körper, die sich an mich pressen, fremde Hände, die mich berühren. Es ist ein wunderbarer Rausch von Männern umgeben zu sein, die alle das
gleiche wollen: Ficken und maximalen Spaß, ohne nachzudenken. Es gefällt mir und ich ... ich ...“
Sönke verstummte und sah David erstaunt an. Dieser lächelte, ergriff abermals seine Hand, beugte sich nach vorn und hauchte Küsse auf die Innenfläche.
„Aber ... Was? “
„Geht es dir jetzt besser?“, fragte David leise.
Die Berührungen verursachten ein angenehmes Kribbeln. Die Wut schmolz und Wärme breitete sich in ihm aus.
„Wieso, ich verstehe nicht ...“ Hilflos sah er David an, dessen Lippen immer noch über die empfindsame Haut glitten.
„Ich konnte deine unterdrückte Wut spüren, aber mir war nicht klar, woher sie kam. Ich verstehe, dass du damit haderst, dass es dich erwischt hat, aber tief in dir weißt du, dass es weniger
katastrophal ist, als du dir einredest. Du musstest dich einfach nur daran erinnern.“
„Einfach?“, erwiderte Sönke und lachte bitter auf. „Ich wünschte, es wäre so leicht.“
„Das ist es“, behauptete David und ließ seine Hand los. „Wir sollten essen, bevor es kalt ist.“
Zuerst sah Sönke die Lasagne skeptisch an. Sein Magen schien sich verknotet zu haben und er bezweifelte, dass er auch nur einen einzigen Bissen herunterbekommen würde. Vorsichtig steckte er die
Gabel in die Nudelplatten und beobachtete wie heißer Dampf entwich. Ein verlockender Duft stieg ihm in die Nase und sorgte dafür, dass sein Magen zu knurren begann. Mit einem Seufzen begann er zu
essen.
Jetzt war er noch verwirrter, als zuvor und gleichzeitig hatte er das Gefühl, so klar zu sehen wie noch nie. Er grinste, während sich der wunderbare Geschmack nach Tomaten und italienischen
Kräutern in seinem Mund ausbreitete.
„Deine Lesung hat mir gut gefallen“, sagte er nach einer Weile. „Du hast die Zuhörer wirklich in deinen Bann gezogen.“
„Das freut mich. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so viel Spaß machen würde. Das Buch zu schreiben war wie eine Therapie. Ich konnte die Zeit mit Mario noch einmal durchleben, mich an die
besonderen Momente und an das, was unsere Freundschaft ausgemacht hat, erinnern. Natürlich war da auch eine Menge Schmerz. Ihn in Worte zu fassen, war das Schwierigste, was ich jemals getan
habe.“
„Wow, das klingt wirklich beeindruckend. Wirst du noch andere Bücher schreiben?“
„Im Moment recherchiere ich für einen Krimi“, erwiderte David grinsend. „Es ist ganz anders, weil es nur wenige persönliche Aspekte gibt. Aber ich habe eine gewisse Leidenschaft dafür entwickelt
und der Verlag ist daran interessiert.“
„Ich werde es auf jeden Fall lesen. Jedes deiner Bücher.“ Sönke spürte, wie seine Wangen sich verfärbten, aber David lächelte ihn einfach nur entwaffnend an.
Die Unterhaltung plätscherte auf einem angenehmen Niveau dahin. Sie redeten über das Essen, Filme und Hobbys. David erzählte ein paar lustige Anekdoten von Lesungen in anderen Orten. Sönke genoss
es, ihm zuzuhören. Sie lachten, alberten herum, flirteten ... Sönke sehnte sich nach einem weiteren Kuss und fragte sich, wie dieser Abend wohl enden würde. Vor allem wollte er jedoch wissen, wie
oder ob es danach weiterging. Konnte er ihnen eine Chance geben, oder war das hier tatsächlich nicht mehr als ein kleines Weihnachtsmärchen?
Er fürchtete sich vor der Antwort, versuchte stattdessen, die Zeit einfach zu genießen.
David bezahlte die Rechnung. Sie zogen die Jacken an und gingen nach draußen. Es war kälter geworden. Schnee lag in der Luft. Man konnte ihn direkt riechen.
Schweigend gingen sie nebeneinander die Straße entlang in Richtung Weihnachtsmarkt. Die Buden waren längst geschlossen, als sie dort ankamen. Eine seltsame Atmosphäre umgab sie. Es war beinahe
ein bisschen gruselig. Der Weihnachtsbaum ragte groß und dunkel über ihnen. Vor der Krippe bleiben sie stehen. Schemenhaft zeichneten sich die hölzernen Tiere ab.
„Als Mario mir erzählte, dass er positiv ist, war ich geschockt und wütend. Ich habe mich sofort testen lassen, dann nochmal nach zwölf Wochen und einen dritten Test nach einem halben Jahr. Erst
dann war ich beruhigt und begann, wieder an unsere Freundschaft zu glauben. Ich bin damals wirklich ausgeflippt, denn ... na ja, die Zeiten waren noch anders und die Chance zu sterben, war
ziemlich groß. Ich hatte noch so viele Pläne. Wir hatten beinahe ein Jahr keinen Kontakt, weil ich nicht damit umgehen konnte. Im Grunde war ich verloren.“
Instinktiv zog Sönke ihn näher an sich heran. Das war es, was er ebenfalls fühlte. Es war, als hätte jemand die Verbindung gekappt und er schwebte haltlos davon.
„Ich habe schon lange nicht mehr so viel an ihn gedacht, wie in den letzten Tagen.“ David lachte leise und schlang die Arme um seine Taille. „Selbst wenn ich eine Lesung habe, ist es eher wie
eine Geschichte. Mein Job eben. Aber jetzt ist es, als würde die Erinnerung lebendig werden. Was ziemlich seltsam klingt.“
Ohne darüber nachzudenken, beugte sich Sönke nach vorn und küsste David. Die Lippen waren kühl, erwiderte die Berührung jedoch augenblicklich. Seine Zunge bat sanft um Einlass. Er schmeckte den
Rotwein, aber vor allem David. Es war das, was man wohl als einen süßen Kuss bezeichnete. Kein gieriges Verschlingen, sondern vorsichtiges Tasten, zärtliches Kosten ... Sie suchten beide nach
Nähe, ohne ein Ziel zu definieren. Das Gefühl war neu und groß. Es hätte beängstigend sein können, aber David schien ihm Sicherheit zu geben.
„Ich weiß nicht, wie ich mit all dem umgehen soll“, flüsterte er und sah David unsicher an. „Ich bin auch irgendwie verloren und ...“
„Vielleicht sollten wir einfach weitermachen und sehen wohin der Weg uns führt. Hast du Lust, einen unbekannten Pfad zu beschreiten?“
„Können wir das denn so einfach?“
„Keine Ahnung“, erwiderte David glucksend und hauchte ihm einen Kuss auf die Nase. „Wie wäre es mit einem weiteren Date und wenn das gut läuft, dann noch eins und ...“
„Ich glaube, ich verstehe das Prinzip“, erwiderte er kichernd und genoss das heftige Kribbeln in seinem Bauch, das von Davids Worten ausgelöst wurde.
Etwas Kaltes berührte seine Wange. Er hob den Kopf. Die ersten Schneeflocken schwebten vom Himmel.
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Piccolo (Samstag, 22 Dezember 2018 16:18)
Hallo Karo,
wieder ein sehr schönes Kapitel. Der letzte Satz war besonders wundervoll.
Sönke musste all das einmal laut aussprechen. Danach ging es ihm sichtlich besser.
David ist genau der richtige Partner für ihn. Gegenseitig können sie sich viel geben.
LG Piccolo
Jana P. (Sonntag, 23 Dezember 2018 18:08)
Ich glaub, für Sören ist es ein Weihnachtswunder. Sehr schönes Kapitel, Dankeschön