Manchmal scheint es, als wäre man in einer seltsamen Schleife gefangen. Eine surreale Realität, die sich in regelmäßigen Abständen wiederholt.
Da wird seit Jahren die gleiche Frage aufgeworfen, darüber gestritten, versucht, sich als besonders wissend darzustellen, mit Fakten geprotzt und Meinungen vehement vertreten. Jedes Mal erinnere mich mich daran, dass es eine Zeit gab, in der ich mich voller Elan beteiligt habe. Ich war erbost, fühlte mich betroffen, vielleicht manchmal sogar erniedrigt. Und selbst jetzt, nach all den Jahren trifft es mich immer noch. Nicht so hart, nicht so tief und eher auf einer anderen Ebene.
Heute erstaunt mich vor allem die Intoleranz, die fehlende Akzeptanz und die Tatsache, dass es so viele Menschen gibt, die tatsächlich glauben, dass ihre Realität die einzige und echte auf der ganzen Welt ist. Schon irgendwie verrückt.
Vielleicht sollten sich einige Menschen endlich darüber bewusst werden, dass die Welt keine Scheibe mehr ist. Nur bis zu Horizont sehen zu können, bedeutet nicht, dass die Welt dort endet und man in einen unendlichen Abgrund stürzt. Es ist doch eher so, dass wir alle nur aus einem begrenzten Pool, nämlich unserer eigenen Wahrnehmung schöpfen. Aber schon der Mensch, der neben uns steht, hat eine ganz andere Wahrnehmung und sieht die Dinge auf eine andere Weise. Hin und wieder treffen wir vielleicht mal jemand, mit dem wir unsere Meinung teilen können, aber auch diese Menschen haben einige andere Dinge erlebt, sind anders mit Problemen, Sorgen oder ihrem Glück umgegangen. Das, was wir für die einzig wahre Realität halten, ist nur eine von vielen Realitäten ... und das macht auch das Leben als Autor so besonders. Vor allem dann, wenn man seine eigene Comfortzone verlässt und sich in ungewisse Gewässer begibt. Aber auch hier ist es eben die eigene Zone, meine Grenzen müssen keineswegs den Grenzen von anderen Menschen entsprechen.
Wenn ich über meine eigene Realität an diesem Wochenende nachdenke, dann muss ich schmunzeln, denn vermutlich würde das, in einer Geschichte verarbeitet, als großer Unsinn abgetan werden. Es ist eben eine Frage der Wahrnehmung. Ich bin jedenfalls durch ein chaotisches, wunderbares, anrührendes, lustiges, anstrengendes, stolzmachendes, erholsames und unendlich trauriges Wochenende gegangen.
Klingt unglaublich, oder? Absolut verrückt ...
Am Freitag hatte mein kleiner Sohn seine Abschlussfeier. Die berühmte Träne im Knopfloch, denn es hat nicht ganz so geklappt wie er gehofft hat. Aber er hat bis zum Schluss gekämpft und ein wunderbares Zeugnis geschafft. Jetzt sind beide Jungs aus der Schule. Ich bin verdammt stolz auf sie. Und die Party war ein rauschendes Fest. Wir haben so viel getanzt und gelacht. Es war eine wirklich wunderbare Stimmung und ich habe sogar noch eine neue Seite an meinem Sohn entdeckt: Den Tänzer!
Gleichzeitig war der Tag aber auch noch mit einem anderen wichtigen Datum behaftet. Ein Tag, der tief in meinem Herzen verborgen ist und das Ende eines Monats kennzeichnet, der für mich auch nach vielen Jahren immer noch voller Trauer ist.
Aber ich will ja nicht nur trauern, sondern das Leben genießen und deshalb war ich am Samstag erneut bei der Bürgerparade zum Schützenfest in Goslar. Gott, war das heiß, aber mindestens so lustig wie im letzten Jahr. Obwohl wir die Leute, mit denen wir auf dem Wagen waren, vor einem Jahr zuletzt gesehen haben, war es irgendwie beinahe wie ein Familienfest. Sofort wiedererkannt und quasi weitergefeiert. Dank Eiswürfeln im Shirt und einiger netter Zuschauer, die uns mit Wasser bespritzt haben, war es ein verdammt tolles Erlebnis. Und unsere Regenbogenfächer ... was hätten wir nur ohne sie gemacht?
Und dann kam der Sonntag. Ich hatte ein bisschen Angst und habe mich gleichzeitig auf diesen besonderen Moment gefreut. Nach 20 Jahren gaben wir den Ort unserer Trauer frei. Ein letzter Besuch, ein letzter Gedanke an den Tag, als wir dort zum ersten Mal standen. So tief erschüttert, dass wir dachten, es würde keine Zukunft geben. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieser Tag (der gestrige Sonntag) jemals kommen würde. Ich war mir sicher, dass wir für den Rest unseres Lebens diesen Ort brauchen würden. Ich weiß nicht, ob die Zeit tatsächlich Wunden heilen kann, aber ich weiß, dass es der richtige Zeitpunkt für ein Ende war. Wir tragen unseren Schmerz und die Erinnerung im Herzen. Und so haben wir den Stein, den wir damals im Wald gesucht haben, wieder zurückgebracht. Eine wundervolle Stelle im Wald, perfekt für ein Picknick, perfekt, um die Gedanken schweifen zu lassen, Trauer zuzulassen, aber auch das Glück zu empfinden, das ich in all den Jahren erleben durfte.
Ein weiterer Moment, der schließlich mit einem schönen Mittagessen mit der Familie und den Großeltern zum Schulabschluss beendet wurde. Wieder wurde viel gelacht und lustige Geschichten erzählt.
Das Wochenende haben wir bei der Hitze schließlich am See beendet. Baden, die Seele baumeln lassen, Sonne genießen. Ruhe, nach all der lauten Musik. Hin und wieder habe ich den Fehler begangen und auf mein Handy geguckt. Elende Diskussion, vermutlich so alt wie das Genre ... Ich wünschte, ich wäre besser darin, es zu ignorieren, aber immerhin weiß ich, dass am Ende meines Horizonts die Welt nicht zu Ende ist. Es ist einfach so unglaublich viel möglich, es gibt so viele Facetten. Ich liebe den Regenbogen und ich bin so unglaublich dankbar, dass ich einen Platz darunter gefunden habe. Mein Leben ist bunt, voller Widersprüche, voller Liebe. Ich brauche keine Schubladen, keine Rollenmuster und niemanden, der mir seiner Meinung aufdrücken will. Das Leben gibt die Vielfalt schließlich vor und jeder darf sich bedienen, vielleicht sogar die Chance nutzen, um den eigenen Horizont zu erweitern. Man kann neue Erfahrungen sammeln und für das eigene Glück kämpfen. Jedes Leben ist endlich und wir sollten es mit möglichst vielen positiven Erinnerungen füllen.
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Piccolo (Montag, 01 Juli 2019 13:20)
Hallo Karo,
danke, dass du deine Gedanken und Gefühle mit uns teilst. Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute!
LG Piccolo