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Dritter Advent-Samstag

Es ist das alljährliche Schwängelbells- Adventswochenende! 

Ich freue mich jedes Jahr darauf, obwohl in diesem Jahr wirklich alles anders ist. So spontan wie mein Adventskalender, so spontan sitze ich hier auch vor Schwängelbells und frage mich, womit ich euch unterhalten kann. Im Nacken spüre ich quasi den Atem des Todes, denn ein überaus grimmiger Shopbesitzer (der am liebsten gar nicht hergekommen wäre) starrt mir über die Schulter. Ich weiß, dass er seine Geschichte verdient hat, aber manchmal ist es halt komplizierter als erwartet. 

Das ändert aber nichts daran, dass es morgen wieder ein kleines Schwängelbells- Gewinnspiel gibt und  Türchen fünf bis sieben könnt ihr jetzt hier natürlich auch lesen. 


Gewonnen hat: 

Anja Hoffmann

Herzlichen Glückwunsch!

(schick deine Adresse an: nachricht [at]karostein.de


5.

 

Wir verabschieden uns wortreich und mit vielen guten Wünschen. Ich seufze erleichtert, als ich endlich allein im Büro bin. Trotzdem schleicht sich für einen Moment ein schwermütiges Gefühl in meinen Bauch, aber es ist viel zu flüchtig, um es näher zu hinterfragen. 

Voller Tatendrang setze ich mich an die Arbeit. 

Ich komme gut voran, vergesse die Zeit vollkommen. Erst als mein Blick zufällig die kleine Anzeige am Monitor streift, stelle ich fest, dass es bereits nach 18 Uhr ist. 

Zeit, nach Hause zu fahren. Mein Magen sieht das ebenso, denn er beginnt begehrlich zu knurren, als ich an die Pizza denke, die in der Tiefkühltruhe auf ihre Bestimmung wartet. Außerdem habe ich mir einen großen Teller vom Büffet zusammengestellt, bevor die Reste wieder abgeholt wurden.

Erneut verspüre sich dieses seltsame Gefühl. Es ist der Gedanke, allein zu sein. Ein ganzes Haus wartet auf mich. Das euphorische Gefühl, dermaßen viel Platz zu haben, hat sich irgendwann in die Erkenntnis gewandelt, dass ich dort überaus allein bin. Ich habe zwar meine eigene Identität gefunden, aber meine Eltern und den Halt der Gemeinschaft verloren. 

Trotzdem war es ein echter Befreiungsschlag, als ich zum ersten Mal meinem Spiegelbild laut gesagt habe, dass ich schwul bin. Ich brauche keinen Glauben, der meine Sexualität verbietet, lasse mir von niemandem den Weg vorschreiben, den ich zu gehen habe. Ich kann selbst den Pfad platt trampeln und brauche keine Straße, auf der schon tausende Schafe vor mir gegangen sind. Der Erfolg gibt mir recht und gegen Einsamkeit hilft Arbeit. Obwohl ein Partner auch schön wäre. Ich weiß gar nicht, ob ich mich überhaupt verlieben kann, aber ich würde es gern herausfinden. Manchmal sehne ich mich nach Zweisamkeit, nach jemandem an meiner Seite, mit dem ich durchs Leben gehen kann. Allerdings arbeite ich so viel, dass ein Kerl mir vermutlich vor die Füße bzw. vor den PC fallen müsste.

Ich strecke mich, höre beunruhigt das leise Knacken meiner Knochen. Bin ich mit 32 nicht noch ein bisschen jung, um schon Verschleißerscheinungen zu haben? Vielleicht nutze ich die freien Tage für ein kleines Lauftraining. Über Deutschland hängt laut Wetterbericht ein Hochdruckgebiet mit milden Temperaturen und Nieselregen. Im Regen laufe ich auf jeden Fall lieber als bei Frost und Schnee.

 

6.

Ich werfe noch einen letzten Blick durch die Räume, bevor ich abschließe, die Alarmanlage einschalte und mit dem Fahrstuhl nach unten fahre. Die Lobby des Bürogebäudes ist natürlich weihnachtlich geschmückt. Ein riesiger künstlicher Weihnachtsbaum mit einer Vielzahl bunt verpackter Geschenkkartons steht neben dem Eingang. Blinkende Lichter und der obligatorische Weihnachtsmann mit Schlitten dürfen natürlich auch nicht fehlen. Ich wünsche dem Mann von der Security einen schönen Abend und verlasse das Gebäude.

Es regnet nicht, aber der Mond ist nur verschwommen hinter dicken Wolken zu erkennen. Die Temperaturen sind allerdings weit entfernt von mild, sondern offenbar kurz über dem Gefrierpunkt. Fröstelnd ziehe ich die Schultern hoch und laufe eilig über den Parkplatz zu meinem Auto. Bevor ich einsteige, drehe ich mich zurück und schaue nach oben. Stolz breitet sich warm in meiner Brust aus. Dass wir jemals in eines der imposanten Bürokomplexe der Stadt ziehen würden, hätte wohl niemand erwartet. Vom Keller eines Abrisshauses direkt in die 12. Etage im angesagtesten Viertel der Stadt. Wären meine Eltern von meinem Erfolg beeindruckt? Vermutlich nicht. Seufzend schließe ich einen Moment die Augen, verdränge das unangenehme Gefühl und steige ein. 

Ich rolle langsam aus der Einfahrt in Richtung Straße, während ich einen anderen Radiosender suche, denn auf Weihnachtslieder habe ich wirklich keine Lust.

Ein heftiger Aufprall lässt mich zusammenfahren. Ich trete erschrocken auf die Bremse und traue meinen Augen nicht. Auf meiner Motorhaube liegt ein Weihnachtsmann! Ich springe aus dem Wagen und brauche einen Moment, um das Bild, das sich mir bietet, zu begreifen.

Ein roter Mantel mit weißem Kragen, eine ebenso rote Mütze mit einer dicken flauschigen Bommel, das ist erst einmal alles, was ich erkenne. 

Der Weihnachtsmann liegt mit dem Oberkörper auf meinem Auto, die Arme weit von sich gestreckt. In der rechten Hand hält er eine Flasche und links einen kleinen Jutesack. Oh Mann! 

Als ich mich näher über ihn beuge, weht mir eine Schnapsfahne entgegen. Angewidert verziehe ich das Gesicht und rüttle vorsichtig an der Schulter des Mannes. 

 

7.

«Hallo? Geht es Ihnen gut?» 

Er hebt den Kopf und sieht mich mit glasigen Augen an. Es scheint, als versuche er mich mit fixieren, aber es gelingt ihm offensichtlich nicht, sodass er seinen Kopf wieder auf die Motorhaube ablegt und leise stöhnt.

«Alles in Ordnung mit Ihnen?», erkundige ich mich und überlege, ob ich einen Krankenwagen und die Polizei rufen soll. Dabei bin ich mir sicher, dass ich ihn nicht schlimm erwischt habe. Das Auto ist allerhöchstens gerollt. Frustriert ziehe ich mein Handy hervor. Es nützt ja nichts.

«Mir geht es super», nuschelt der Kerl und nickt so heftig, dass die Bewegung ein fies klingendes, schabendes Geräusch auf meinem Autolack verursacht. Nicht, dass ich meinen Wagen abgöttisch liebe, aber er … na ja, er bedeutet mir schon viel und ich bin ziemlich stolz auf diesen zugegebenermaßen protzigen Schlitten. 

Erneut hebt der Weihnachtsmannverschnitt den Kopf und versucht sich aufzurichten. 

«Sie hab´n den Weihnachtsmann angefahr´n!», schimpft er.

Dann rutscht er von der Motorhaube und landet beinahe kunstvoll auf dem Hintern. Die Beine sind weit gespreizt. Die Mütze hängt schief auf seinem Kopf. Ein Häufchen Elend in Rot. Er nimmt einen weiteren Schluck aus seiner Flasche, die offenbar keinerlei Schaden genommen hat, und hält sie mir entgegen.

«Auch ´n Schlück…chen?», fragt er und schwenkt sie wie einen Siegerpokal. 

«Nein danke», erwidere ich, immer noch unsicher, wie ich mich am besten verhalten soll. Ich hocke mich neben den Kerl, um ihn besser begutachten zu können. Auf den ersten Blick sehe ich nicht mal eine Schramme. Er ist jung und niedlich, auch wenn er riecht, als hätte er einen ganzen Schnapsladen ausgetrunken.

«Geht es Ihnen gut?», frage ich erneut. 

Er hebt den Blick und abermals wandern seine Augen unfokussiert über mein Gesicht. Die Hand mit der Flasche schnellt plötzlich nach vorn. Ich weiche zurück und falle beinahe selbst auf den Hintern.

«Du hascht den Weihnachtsmann überfah´n», stellt er entrüstet fest. Dann schließt er die Augen. Der Kopf kippt nach vorn. Er ist doch hoffentlich nicht ohnmächtig!

«Hey, nicht einschlafen!», rufe ich und spüre einen Anflug von Panik.

«Der Weihnachtschmann isch jetzt wirklisch müde», murmelt er, gähnt und trinkt tatsächlich noch einen Schluck aus seiner Flasche.

«Der verdammte Weihnachtsmann ist stinkbesoffen», fluche ich erleichtert.

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Piccolo (Samstag, 10 Dezember 2022 10:30)

    Guten Morgen Karo, ich wünsche einen schönen 10. Dezember.
    Einen Weihnachtsmann fährt man nicht alle Tage an. Und einen sturzbesoffenen erst recht nicht.
    LG Piccolo

  • #2

    Anja Hoffmann (Samstag, 10 Dezember 2022 19:20)

    Hallo liebe Karo,
    vielen Dank für das Gewinnspiel. Ich freu mich riesig, dass ich gewonnen habe.
    Die diesjährige Adventsgeschichte kenne ich noch nicht und finde sie super.

    Abschliessend wünsche ich allen morgen einen schönen 3. Advent, aber erfriert bitte nicht.

    LG Anja